Donnerstag, 24. Juni 2004

Kirchentagstraum

Fix und fertig wache ich auch heute wieder aus einem Alptraum auf.


Kirchentag.

Was ich vor der gleich beginnenden Traumerzählung geträumt habe weiß ich nicht mehr so genau.

Ausnahmsweise ist Jens (mein schwuler Freund der mich normalerweise bei solchen Großereignissen im Stich läst) dabei. Er ist immer langsamer wie ich bei der Fortbewegung mit dem Rad, da er Grundsätzlich verbotener weise auf dem Bürgersteig fahren muss. Oder weil er Älter ist. Weil er müde ist. Weil er Übervorsichtig ist. Weil er grundsätzlich an der letzen Ampel hängensgeblieben ist. Legale Stände bei Kirchentagen kriegt man nicht als politische Einzelperson, wenn man davon Leben will. 10 Jahre habe ich drum gekämpft mit immer dem gleichen Ergebnis. Gegen die Betonköpfe kommt man nicht an. Entwerder man wird auf den Markt der Möglichkeiten verwiesen, dessen Anmeldefrist längst abgelaufen ist oder für den man zu zehnt sein muss. Oder man wird auf die Kirchentagsbuchhandlung verwiesen, bei der man nicht selber verkaufen kann. Die Stadt verweist wiederum auf die Kirchentagsleitung, da Sie alle Flächen an selbige vermietet hätte. Selbst Margot Käsmann als damalige Kirchentagspräsidentin und heute in noch höherer Position hatte sich Erfolglos für mich eingesetzt. Ein Kampf gegen Windmühlen. Nur der illegale Standaufbau auf gerade Wohl bleibt über.

Bei Kirchentagen ist es für einen illegalen Standaufbau wichtig zu wissen, wo die Massen wann verweilen werden. Bei 1000 Veranstaltungen nicht so einfach. Oder man muss sich einen Platz suchen der etwas abseits ist, an dem aber alle mal vorbeikommen, wie die Grünanlage zwischen Brandenburger Tor und Bundestag. Der Kirchentag ist aber jedes Jahr in einer anderen Stadt.

Bei diesem Kirchentag jedenfalls ist es so das wir irgendwie wussten welcher Ort als nächstes zum Anziehungspunkt wird. Ich wusste irgendwie das es einen Aufzug zu dem hoch gelegenen Ort gab in dem wir auch unsere Räder transportieren konnten. Da es bei solchen Großereignissen zudem wichtig ist rechtzeitig VOR dem Eintreffen der Masse mit dem Standaufbau fertig zu sein, aber auch nicht zu früh, da man dann ungenutzte Zeit hat und das Risiko, das die Behörden „rechtzeitig“ reagieren können steigt, trieb ich meinen Freund an „ Ich weiß wie wir da hoch kommen und ich nehm Dich mit hoch, wenn Du gleichzeitig mit mir am Aufzug bist!“

Der Fahrstuhl hatte 2 Kammern für je ein Rad und einen Fahrgastraum. Oben angekommen stand neben einer Verkehrsinsel eine Gruppe im Kreis auf der Straße und sang. Wir stellten uns dazu und ich überlegte wo es am sinnigsten ist den Stand aufzubauen. Eine ebenso schwere Entscheidung. Steht man in den Massen zertrampeln die Leute Deine Sachen oder stehen davor ohne zuschauen. Verhindern das Leute die schauen wollen den Stand wahrnehmen oder dorthin gelangen. Die Gratwanderung ist schmal. Schon das schwierige Erreichen kann einen potentiellen Kunden zum Nicht-Kunden werden lassen. Steht man hingegen zu Abseits rennen alle Vorbei – ebenfalls ohne Dich wahrzunehmen. Auch hier muss es also die richtige Mischung sein.

Ich beginne auf der Verkehrsinsel meine Sachen auszurichten. Jens ist wie immer sofort weg. Small Talk. Dann ist er gar ganz weg. Eine total typische Erfahrung. Wenn man ihn am dringensten braucht ist er völlig weg. Beim Aufbauen werde ich von potentiellen Kunden angesprochen. Nächste Entscheidung: Allein weiter Aufbauen und zu spät fertig werden und den Kunden verlieren, denn die meisten Kunden müssen ständig aufmerksamst beobachtet werden damit es zu einem Kaufabschluss kommen kann. Oder eben sich um den Kunden kümmern und zu spät fertig zu werden. Ich versuche wieder beides miteinander zu Verbinden. Kümmere mich erst um den Kunden. Der braucht natürlich ewige Zeit zum Entscheiden. Da bau ich weiter auf. Bislang ohne Kaufabschluss. Währenddessen treffen die Massen ein. Links ist plötzlich ein Hutstand mit Zelt. Auch schlecht, da er zu offensichtlich ist. Er wird von den Behörden mit hoher Wahrscheinlichkeit gesehen.

Ein Windstoß hat meine Buttonvorlagen weggeblasen. Als ich Sie wiederhole sehe ich das die Gruppe die ich ja als potentiellen Käufer gerade nebenbei bediene im Aufbruch ist. JETZT ist der Zeitpunkt das Geschäft mit viel weiterem bla bla in trockene Tücher zu wickeln. Doch gleichzeitig kann ich meine Sachen in der mittlerweile unübersichtlichen Situation nicht alleine lassen. Das psychisch wichtige erste Geschäft droht radikal zu platzen.

Kaum liegt die Folie wieder kommt jemand forsch auf mich zu:

„Entschuldige mal, haste hier nicht schon Ärger mit den Meldebehörden bekommen?“ Ich antworte natürlich: „Ja, hier könnt ich stehen, wenn ich auf dem Mittelstreifen bleibe“ Das war natürlich wieder eine heikle, Ärger heraufbeschwörende Situation. Ich Wust nicht ob der junge Frager im weißen Hemd mit feinen Nadelstreifen von einem anderen Stand war oder vom Veranstalter. War er von einem anderen Stand war dies die völlig falsche Antwort, da es ihn ermuntert sich neben mich zu stellen und das Risiko rapide wächst Vertrieben zu werden. War er vom Veranstalter und ich hätte so geantwortet als wenn er von einem anderen Stand gewesen wäre, wäre die Situation wie folgt abgelaufen: „Ja die haben mich aber schon zum gehen aufgefordert. Bitte stell Dich nicht auch dahin. Hat sowieso keinen Sinn bzw es ist dann sicherer das ich auch geräumt werde.“ Gegenüber: „Dann packen Sie mal schnell zusammen. In 5 Minuten bin ich wieder da, wenn Sie dann noch hier sind helfe ich Ihnen!“ Das „Helfen“ bedeutet noch schnelleres Vertreiben oder Beschlagnahme. Meine Antwort war also nur dann richtig, wenn der Frager eine Hilfsperson des Veranstalters war und die Sache aufgrund meiner Aussage nicht weiter überprüft. Dies sind immer meine beiden einzigen Chancen: Entweder keiner mit Auftrag entdeckt mich oder derjenige mit Auftrag lässt sich von mir in die Irre führen. Und Menschen mit Auftrag kann es viele geben: „Auftrag“ bedeutet in allen Fällen illegale Stände zu verhindern. Manchmal –eher selten- ist es die Polizei die dies kontrolliert. Es kann auch ein Anschwärzer aus der Bevölkerung sein. Das ist aber sehr selten bei meinem Programm. Die meisten Leute wissen zudem überhaupt nicht von den Schwierigkeiten fliegender Händler! Können sich das gar nicht vorstellen. Schon öfter sind es Leute von der Gewerbeaufsicht oder städtische Bedienstete die Standflächen kontrollieren. Oder Betreiber des Marktes. Beim Kirchentag zusätzlich auch noch extra abgestellte Zivilisten aus der Pfadfinderriege!

Ich kann wieder nicht weiter Aufbauen, da nun jemand Kisten von hinten über meinen Stand hebt und in seine Karre verladen will. Ich fasse mit an, damit diese nervige Situation möglichst schnell beendet ist.

Rechts befindet sich auch plötzlich was im Aufbau. Genau das ist das Problem wo Jens weg ist: Man konnte sich nicht rechtzeitig durch Auslegen von Decke und Matten und Buttonfolien und vor allem Achtsamkeit das nötige Standterritorium sichern.

Ich wache auf und tipp gleich den Traum in den PC. Jens wacht davon auch auf. Ich soll den Traum erst erzählen. Doch nach der Hälfte schnarcht er schon wieder…